Dolomitenmann
© 2025 Tofisch & Partner Der Kerl ist ein Vollblut-Abenteurer. Er kurbelt über die höchsten Himalaja-Pässe, steigt im russischen Kamtschatka rauchenden Vulkanen aufs Dach oder durchquert mit seinem Fully die Wüsten der Mongolei. Mit 29 hat der Bergführer und passionierte Biker Tobias Fischnaller, kurz Tofisch, schon mehr Stempel im Reisepass als so mach altgedienter Diplomat. Man möchte meinen, einen wie Fischnaller auf die Trails vor seiner Haustür anzusprechen, wäre etwa so, als frage man Michael Schuhmacher, wie er Kerpens neue Umgehungsstraße finde. Irrtum! Auf »seine« Berge lässt der Südtiroler nichts kommen. Im Gegenteil: Die nordwestlichen Dolomiten zwischen Pustertal und Cortina sind für ihn das Maß aller Dinge.
»Diese skurrile Landschaft aus gigantischen Felsmassiven, steilen Wänden und riesigen Hochplateaus ist einzigartig und: jedes mal aufs Neue spannend«, schwärmt »Tofisch«. Stimmt! Vor allem wenn man die Bilderbuchlandschaft mit dem Bike entdeckt. Ein dichtes Netz aus Forstwegen, Wandertrails und Militärsträßchen erschließt beinahe jeden Winkel des Gebirges. »Deshalb«, so der Local, »sind die Dolomiten für mich ein Tourendorado der Extraklasse.«
Tofisch weiß, wo von er spricht. Schließlich verdient der Local das nötige Kleingeld für seine Expeditionen als Bike-Guide - Alpencross im Allgemeinen, Dolomitencross im Besonderen. Etwa zweihunderttausend Höhenmeter stehen am Ende der Saison auf seinem Tacho-Display. Doch selbst dieses Pensum reicht nicht aus, um alle Wege und Trails durch die mächtigen Bergstöcke, die vor rund 200 Millionen Jahren aus den Korallenstöcken des urzeitlichen Thetysmeer entstandenen, zu kennen.
© 2025 Tofisch & Partner Was zum einen an den vielfältigen Möglichkeiten, zum anderen an der Qualität bereits bekannter Routen liegt. So verlieren selbst Klassiker wie die Fanes-Runde auch nach der x-ten Befahrung kein bißchen an Attraktivität. Zu dicht, zu vielschichtig sind die Eindrücke beim Radeln durch eines der schönsten Täler der Welt, als sie nach dem ersten Mal abzuhaken. Allein schon der canyonähnliche Auftakt: Eingezwängt zwischen tausend Meter hohen Felswänden schlängelt sich die Straße nach Pederü. Ein asphaltiertes Entree. Dann wird die Piste holpriger und die Berge rücken noch näher zusammen. Doch es gibt einen Durchschlupf und schon ein paar Kehren später rollen Biker durch die ausgedehnten Almwiesen des Fanes-Hochplateaus, vorbei an glasklaren Seen und gurgelnden Bächen. Nicht nur die Landschaft, auch die Infrastruktur auf 2.000 Metern Höhe ist perfekt: Auf den Sonnenterrassen der Fanes- und Lavarellahütte locken Pasta & Cappuccino - Power für die letzen Kehren hinauf zum Limojoch. Spätestens hier, beim Blick auf den Horizont voller Berge wird klar, warum sich die ladinischen Bewohner für beinahe jeden Gipfel, jede Alm und jeden Bach eine Sage ausgedacht haben. Es ist hier oben ganz einfach märchenhaft schön! Tofisch’s Lieblingsspot liegt nahe der Senneshütte. Am Ende der grünen Rollbahn, die wie viele Straßen auch im ersten Weltkrieg nahe der Front entstanden. Genau an der Kante, wo der weiße Schotterweg unter den Stollenreifen wegsackt, als säße man in einem startenden Flugzeug, zieht der Guide an den Bremshebeln. »Von hier aus kannst du die ganze Runde überblicken, die Tour noch einmal Revue passieren lassen, voller Vorfreude auf den letzten Downhill zurück nach Pederü.«
Der stellt für Bike-Novizen übrigens den gefährlichsten Streckenabschnitt dar. Nur wer auf der ultrasteilen Schotterstraße gefühlvoll die Bremsen dosiert, hat eine reelle Chance mit heilen Knochen unten anzukommen. Ansonsten birgt der Fanes-Klassiker keine fahrtechnischen Probleme. Wogegen eine gute Kondition Voraussetzung ist. Immerhin hat man am Ende der Tour knapp 1.500 Höhenmeter in den Beinen. Ein fairer Deal für eine unvergessliche Fahrt quer durch den Naturpark Fanes-Sennes-Prags.
© 2025 Tofisch & Partner Doch nicht nur auf der Fanes-Runde infizieren sich Biker mit dem  Dolomiten-Virus. Selbst sogenannten »Einfahrtouren« bergen ein enorm  hohes Suchtpotential. Und davon gibt es rund um St. Vigil in Enneberg,  dem idealen Basecamp der Region, mehr als genug. Neben den vielen soften  Touren die St. Vigil’s Hausberg, der Kronplatz, bietet, empfiehlt  Tofisch einen Abstecher nach Wengen. Eine kaum frequentierte Forststraße  windet sich durch einen herrlich kühlen Lärchenwald nach oben. Die bunt  blühenden Bergwiesen von Gran Rit entschädigen für den steilen Stich  am Ende der Auffahrt. Dort, am höchsten Punkt der Runde, schlägt das  Klischee Südtirol sofort wieder zu: eine Bank, daneben ein Holzkreuz,  dahinter Heustadel aus tiefschwarzen von der Höhensonne verbrannten  Holzbalken vor mächtigen Felswänden. Der Weg verschwindet  vielversprechend im kupierten Wiesengelände – reichlich Stoff für  neuzeitliche Biker-Sagen. Auch ein Stockwerk tiefer, in den kleinen  Weilern von Wengen, ist die Welt noch in Ordnung. Bergbauernhöfe,  Kapellen und Kirchtürme prägen die Szenerie. Im fernen Süden zwischen  Langkofel und Sella schimmert wie eine Fata Morgana das ewigen Eis der  Marmolada.
Ein Hauch eisiger Gletscherluft würde bei so mancher  Dolomitenrunde gut tun. Dringend notwendig wäre eine Abkühlung vor allem  während des gnadenlosen Uphills zum Kreuzjoch. Von Anfang an geht es  bei Tofisch‘s Geheimtipp gnadenlos zur Sache. Gut 1.000 Höhenmeter auf  den ersten neun Fahrkilometern – die letzten davon durch eine  Mondlandschaft aus gleißend weißen Schotter. Hier hilft nur eins: Augen  zu und durch! Dass sich die Schinderei trotzdem lohnt, zeigt sich  spätestens auf dem Singletrail nahe der Hochalm. Jeder Meter auf dem  schmalen Wanderweg bietet puren Bikegenuss. Steinstufen und enge  Serpentinen wechseln mit Wurzelpassagen und weichem Humusschichten. Mal  muss das Vorderrad Zentimeter genau um die Ecke gezirkelt werden, dann  wieder führt das helle Band in weiten Kurven am Hand entlang, verlockt  zu Speed- und Sprungeinlagen. Zu guter Letzt surfen Biker im weichen  Kies eines trockenen Bachbettes. Im Felsenkessel von Prags leuchten dann  die Augen der Biker mit dem türkisgrünen Bergsees um die Wette. »Je  mehr ich in der Welt herumkomme«, sagt Tofisch während er am Ufer sitzt  und sich von der warmen Sonne trocknen lässt, »um so höher schätze ich  die Dolomiten«. Um das zu verstehen, muss man kein Abenteurer zu sein.